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Heiß begehrt und angefeindet
Weigand weist in seiner Untersuchung nach, dass sich noch bis Mitte der 90er Jahre in der ländlichen Region südlich von Freiburg im Breisgau vereinzelte Nebenerwerbsleihbüchereien befunden haben, die letzte wurde 1998 aufgelöst. Auch in Aschaffenburg und in Berlin existierten noch bis in die jüngere Vergangenheit hinein einige wenige Leihbüchereien.
1960 war quantitativ der wirtschaftliche Höhepunkt der Leihbüchereien erreicht: 27.685 Ausleihstellen verzeichnen die Postwurflisten der Deutschen Bundespost. [Weigand, a.a.O. S. 19.] Darunter befanden sich große Betriebe mit hundert oder mehr Filialen. Die weitaus meisten Leihbüchereien aber waren, wie schon vor dem Krieg, so genannte Nebenerwerbsbetriebe, die zusammen mit Tabak-, Zeitschriften- oder Schreibwarenläden betrieben wurden. Anfang der 60er Jahre waren die Ausleihen von gewerblichen Büchereien mehr als doppelt so hoch wie die von öffentlichen Bibliotheken.
Um eine Leihbücherei zu unterhalten, bedurfte es keiner besonderen Kenntnisse oder Ausbildung. Weigand zitiert sogar Freisprüche in Gerichtsverfahren, weil die angeklagten Inhaber der Leihbüchereien nicht lesen konnten. Der Vorwurf der Anklage bestand in einem Fall darin, dass der Betreiber einer Trinkhalle mit einer angeschlossenen Leihbücherei von 500 Bänden einen Sittenroman an einen Jugendlichen verliehen hatte. Das Schöffengericht Essen sprach den Beschuldigten 1955 frei, da ihm nicht nachgewiesen werden konnte, das Buch gelesen zu haben und auch die Behauptung, den Klappentext nicht verstanden zu haben, konnte das Gericht nicht widerlegen, da der Angeklagte "von einfachster Denkart" sei. Vor der Strafkammer München I wurde im gleichen Jahr ein ähnlicher Fall wegen Verbreitung jugendgefährdender Schriften verhandelt. Der beschuldigte Leihbücherei-Inhaber war ein Invalide, dem nach wenigen Minuten Lektüre die Augen zufielen, weshalb er sich auf die Angaben des Verlags verlassen habe. Auch dieses Verfahren endete mit einem Freispruch. Mit Ausnahme von Westberlin bedurfte es zum Betrieb einer Leihbücherei keiner Konzession.
Diese Gerichtsverfahren verdeutlichen auch, dass das Image der Leihbüchereien nicht immer das beste war. Im Gegenteil, wegen der offensichtlichen Beliebtheit bei großen Teilen der Bevölkerung, sahen Sittenwächter und die vermeintlichen Bewahrer hehrer, kultureller Werte in ihnen eine große Gefahr. Im Zuge der "Schmutz- und Schundkampagnen" während der fünfziger Jahre wurde gegen den Sittenverfall der beliebten Unterhaltungslektüre aus der kleinen Bücherei um die Ecke sogar von den Kanzeln der Kirchen gewettert. Der wahre Grund für die moralverbrämten Ausfälle dürfte allerdings gewesen sein, dass die Konkurrenz dieses freien Angebots gefürchtet wurde. Den Pfarrbibliotheken und städtischen Büchereien liefen die Kunden davon, da das gewerbliche Angebot, obwohl es teurer war, die bessere Unterhaltung bot. Der vom Terror des verbrecherischen Regimes der Nationalsozialisten befreite Bürger wollte sich nicht länger nur das vorsetzen lassen, was andere für ihn als moralisch einwandfrei oder literarisch anspruchsvoll klassifiziert hatten. Umso massiver wurde von Seiten der Jugendschützer gegen Leihbuchverlage und Autoren vorgegangen. Es gab Indizierungen zuhauf. Weigand listet sie in seinem Buch auf. Sie sind für ihn eine Art Empfehlung für den Sammler von heute: ein nicht immer aber doch häufig zutreffendes Qualitätsmerkmal, zeichneten sich die zensierten Bücher seiner Meinung nach vor allem dadurch aus, besonders flott und packend geschrieben zu sein. Science-Fiction war jedoch im Verhältnis zu anderen Genres wie Krimi, Western und Sittenroman relativ selten von Indizierungen betroffen. Ganz ungeschoren kam aber auch die SF nicht davon.
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