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Wenn das Sammeln zum Abenteuer wird
Science-Fiction-Leihbücher sind ein Sammelgebiet, das zur Zeit noch (!) mit vergleichsweise kleinem Budget beackert werden kann. Wie jedes bis dato nur von einer kleinen Schar Eingeweihter zum Hobby und Forschungsgegenstand auserkorene Gebiet, verspricht es den besonderen Reiz, Neuland und Unbekanntes entdecken zu können. Wenn Sammeln zum Abenteuer wird: Dieses Versprechen kann beim Thema Leihbücher Wirklichkeit werden.
Natürlich gab es schon lange vor dem zweiten Weltkrieg gewerbliche Leihbüchereien. Gewerbliche Büchereien können auf eine lange Geschichte zurückblicken, ähnlich wie die öffentlichen Bibliotheken, die sich als gemeinnützige Einrichtungen verstehen.
Als älteste öffentliche Bibliothek im deutschsprachigen Raum gilt die Nürnberger Ratsbibliothek, die schon 1370 erwähnt wird. Bei ihrem Bestand in jener Zeit vor Gutenberg handelte es sich hauptsächlich um juristische Handschriften. Mitte des 18. Jahrhunderts haben sich dann auch gewerbliche Leihbüchereien in größeren Städten wie Berlin, Frankfurt am Main und München etabliert. In den nachfolgenden Jahrzehnten breiteten sie sich sehr rasch auch in kleinere Ortschaften aus und kamen so dem gestiegenen Lesebedürfnis des Bürgertums entgegen. Nicht nur Bücher sondern auch Zeitungen wurden gegen ein geringes Entgelt verliehen. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gab es über ganz Deutschland verteilt rund 3000 Leihbüchereien, die den Verlagen oft drei Viertel einer Buchauflage abnahmen.
Bis 1933 wuchs ihre Zahl explosionsartig. Verschiedene Schätzungen variieren zwischen 15.000 bis 40.000 Betrieben, wobei die Mehrzahl Nebenerwerbsbetriebe waren. Es wundert wenig, dass viele von ihnen in den Arbeitervierteln der großen Städte beheimatet waren. Ab 1934 wurde die Neugründung gewerblicher Leihbüchereien im Nebenerwerb von den Nazis unterbunden. Die bestehenden Betriebe gerieten unter die Kuratel der Reichsschrifttumskammer, eine Fülle von Vorschriften und Rahmenbedingungen sorgte dafür, dass viele schließen mussten. Schon im Mai 1933 wurde der Leihbuchhandel dem im Aufbau befindlichen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, mithin Joseph Goebbels, unterstellt. Mit anderen Worten: Auch hier wurde dafür gesorgt, dass unliebsame Autoren verschwanden und nur erwünschtes Schrifttum ausgeliehen werden konnte.
Erst nach 1945 entstand für den Zeitraum weniger Jahrzehnte jenes Leihbuch-Phänomen, für das einer der wenigen Fachleute auf diesem Gebiet, Dr. Jörg Weigand, die treffende Bezeichnung "Träume auf dickem Papier" fand. [Jörg Weigand: Träume auf dickem Papier. Das Leihbuch nach 1945 - ein Stück Buchgeschichte; Baden-Baden, 1995; Nomos Verlagsgesellschaft. Auch wenn manche Buchhändler das Gegenteil behaupten, dieses Buch ist noch lieferbar!] Seine unter diesem Titel erschienene Untersuchung zum Leihbuch nach 1945, "einem Stück Buchgeschichte", ist das unverzichtbare Standardwerk für jeden, der sich intensiver mit diesem Thema auseinander setzen will. Einfühlsam, kenntnisreich, verständlich und spannend beschreibt Weigand das System der gewerblichen Leihbüchereien, der Leihbuchverlage und lässt auch eine Reihe von Leihbuchautoren zu Wort kommen. Ihnen räumt er viel Platz ein, sie äußern sich zu ihren Arbeitsbedingungen, unter denen sie seinerzeit geschrieben haben, zu den Themen, den Vorgaben, den Problemen mit Zensur und Indizierung. Er enthüllt eine Reihe von Pseudonymen, schildert aber auch Aspekte wie Lektorat, Produktion und Vertrieb. Wie gesagt, ein unverzichtbares Buch.
Ebenso kaum verzichtbar ist ein zweites Werk, und zwar der "Allgemeine Deutsche Roman Preiskatalog", der sich neben einer umfassenden Romanheftbibliografie in seiner neuesten Auflage verstärkt auch den Leihbüchern nach 1945 widmet. [Norbert Hethke, Peter Skodzik (Hrsg.): Allgemeiner Deutscher Roman Preiskatalog. 8. erweiterte Auflage; Schönau, 2003; Norbert Hethke Verlag.] Hier findet der Sammler einen wichtigen, wenn auch noch lange nicht vollständigen Überblick über Serien, Titel und Autoren von Leihbüchern. Eine Fülle von nützlichen Querverweisen etwa auf inhaltsgleiche Ausgaben unter anderen Titeln, in anderen Verlagen, Veröffentlichungen im Romanheft oder als Vorkriegstitel sind nützliche Hilfestellungen für jeden Sammler. Alle hier erfassten Leihbücher wurden mit einer Preisbewertung für tadellos erhaltene Exemplare versehen. Das heißt, man kann sich auf dem Flohmarkt oder im Antiquariat mit einem schnellen Blick davon überzeugen, ob man im Begriff ist, ein Schnäppchen zu machen oder ob man über den Tisch gezogen werden soll. Die Leihbücher sind im Preiskatalog alphabetisch nach Serien und Autorennamen sortiert. Vermisst wird ein ausführliches Register, das die Suche nach Autoren oder Verlagsnamen vereinfacht. Vielleicht eine Anregung für zukünftige Ausgaben des Preiskatalogs.
Weigand schätzt, dass nach 1945 bis etwa Mitte der siebziger Jahre dreißig- bis vierzigtausend verschiedene Leihbuchtitel in den rund 220 Leihbuchverlagen im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Im Romanpreiskatalog wurden davon gut 7700 von 120 Verlagen erfasst. Ein bedeutendes, wenn nicht sogar das bedeutendste Genre beim Leihbuch dürften Liebesromane aller Art gewesen sein, vom Adels- über den Heimat- bis zum Arztroman. Da diese Romane bei Sammlern heute kaum noch auf Interesse stoßen, sind sie im Romanpreiskatalog auch kaum vertreten. Die hier vorherrschenden Genres sind Abenteuer-, Krimi, Piraten-, Landser- und Legionärsromane, sowie Western und Science-Fiction. Hinzu kommt ein kleines, aber von Sammlern sehr gesuchtes Gebiet, der so genannte Sittenroman. Bei den auf eine männliche Zielgruppe zugeschnittenen Genres dominieren Western und Krimi, gefolgt von SF und (Piraten-)Abenteuern.
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