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Science-Fiction, als es keine Zukunft gab
Wer sich für die Geschichte der utopisch fantastischen Literatur interessiert, wer insbesondere mehr über die Hintergründe populärer SF-Serien wie "Sun Koh" und damit auch PERRY RHODAN erfahren will, für den ist das Buch von Heinz J. Galle ein Gewinn. Und da eine Reihe der Romane, die Müller unter seinen verschiedenen Pseudonymen verfasst hat, auch als Leihbücher erschienen sind, stellt Galles Buch ebenso für diejenigen, die hier weiterführendes Material suchen, eine wertvolle Quelle dar.
Es thematisiert u.a. einen Aspekt, der in unserer Artikelreihe bereits eine wichtige Rolle spielte: in welcher Weise Zeitumstände auf Autoren wie Müller und damit auch auf sein Werk Einfluss nahmen und es entscheidend mitformten. Diese Einflüsse äußern sich auf unterschiedlichste Art; sie finden ihren Ausdruck etwa in der geschilderten Technik oder darin, welche Rolle die Frauen der Helden spielen. Am Schärfsten und Unvermitteltsten greifen aber gesellschaftliche und politische Einflüsse in ein Werk ein, wenn Verbot, Indizierung, Zensur drohen [Zwei Literaturempfehlungen für diejenigen, die sich näher mit dem Themenkomplex der Zensur speziell in Unterhaltungsmedien beschäftigen wollen: Roland Seim / Josef Spiegel (Hrsg.), "Ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen" Band 1, 3. verb., überarbeitete u. aktualisierte Auflage; Münster, 1998; Telos Verlag. Achim Schnurrer (Hrsg.), "Comic zensiert" Band 1; Sonneberg, 1996; Edition Kunst der Comics]. Wir haben bereits gesehen, dass die Leihbuch-SF der Nachkriegszeit nicht vor Zensur gefeit war, umso schlimmer waren die staatlichen Eingriffe in die Unterhaltungsliteratur während der Nazi-Diktatur.
Schon einen Monat nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erging die so genannte "Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat", mit der das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ausgehebelt wurde. Damit war der Grundstein für weitergehende Zensur- und Verbotsmaßnahmen gelegt. So genannte "schädliche" Literatur wurde aus den Bibliotheken verbannt, und das waren längst nicht nur die Bücher von "bolschewistischen" oder "pazifistischen" Autoren. Ab 1934 gerieten auch die Verleger jeglicher Art von Unterhaltungsliteratur unter Druck. Joseph Goebbels gründete die seinem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellte Reichsschrifttumskammer. Wer als Schriftsteller diesem Zwangsverband nicht beitreten "durfte", bekam große Probleme. Nichtaufnahme oder Ausschluss kamen einem Berufsverbot gleich.
Galle schildert in seinem Buch, wie dieser Druck über die Verlage und Redakteure auf die Autoren wirkte und sie zu angepassten Texten zwang. Er zeigt auch, wie in die anfangs "multikulturell" angelegte "Sun Koh"-Serie tendenziöse und fremdenfeindliche Elemente eindringen. Dies lässt sich besonders bei den Heften der 2. und 3. Auflage zeigen, die erschienen, als sich das ganze Unterdrückungssystem der Nazis auch im kulturellen Bereich weiter gefestigt hatte. Ab 1935 unterlagen die "Sun Koh"-Hefte wie alle anderen Verlagserzeugnisse einer Vorzensur durch die Reichsschrifttumskammer. Dennoch ist es falsch, "Sun Koh" als faschistoid zu diffamieren, wie es in der Vergangenheit einige, leider einflussreiche Autoren getan haben. Nicht genug damit, wurde auch PERRY RHODAN in einem Atemzug in diesen ideologischen Rundumschlag miteinbezogen [Von Robert Junk in einer Monitor-Sendung des Jahres 1968 bis zu einem Stern-Artikel 1978 haben sich diese Diffamierungen durch etliche Medien gezogen. Näheres zur Genese einer Verunglimpfung durch Leute, die weder die eine noch die andere Serie je gelesen haben, bei Langhans, Darlton, a.a.O., S. 136 f. und Galle, a.a.O., S. 232 ff.]. "Dass alle Romane in England, den USA oder Südamerika spielten und kein einziger >deutscher Held< darin vorkam, dagegen sogar ein Schwarzer", widerlegt nach Ansicht eines begeisterten Lesers eindeutig den kaum haltbaren Vorwurf, "Sun Koh" habe die NS-Ideologie unterstützt [So der 1927 geborene Redakteur und Autor Volker Stutzer in seinem 1993 erschienen "Passauer Skizzenbuch", zitiert nach Galle, a.a.O., S. 236.]. Erst recht eingedenk der Tatsache, dass die Serie schließlich selbst ein Opfer der Zensur im Dritten Reich wurde.
Man tut sich heute leicht, Autoren und Künstler zu verurteilen, die während der Nazizeit nicht emigrierten, sondern versuchten, in einem verzweifelten Drahtseilakt zwischen Anpassung und eigener künstlerischer Integrität zu überleben. Doch in den meisten Fällen nutzten diese Verrenkungen nichts. Das bestätigte sich auch für "Sun Koh", denn ab 1938 geriet "Sun Koh" und auch Müllers zweite Serie "Jan Mayen" auf die Liste der "für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften", was einem faktischen Verbot gleichkam.
Müller und sein Verlag erhoben in Berlin Einspruch gegen die Aufnahme der Serien in die Liste. Anfangs sogar mit Erfolg, doch schon 1939 war mit der kriegsbedingten Einführung der "Papiergenehmigungspflicht" dann endgültig Schluss. "Sun Koh" und "Jan Mayen" teilten seit dieser Zeit das Schicksal tausender anderer Publikationen, die dem System nicht genehm waren und so ohne weitere Begründung vom Markt genommen werden konnten. Wie Müller erging es auch vielen anderen Autoren, Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Für nicht wenige von ihnen hatte dies noch wesentlich dramatischere und schrecklichere Folgen, die weiter über die Zensur ihrer Werke hinausgingen. [Ein besonders tragisches Beispiel für Versuch und Scheitern beim Überleben und bei der Anpassung eines Künstlers in der Nazizeit an die herrschende Ideologie ist Erich Ohser, besser bekannt als e.o. plauen. Der Schöpfer der berühmten "Vater und Sohn"-Comics war vor 1933 ausgewiesener Gegner der Nazis und wurde als solcher sofort mit Berufsverbot belegt, das er schließlich als "unpolitischer Pressezeichner" und anfangs auch gedeckt durch das Pseudonym e.o. plauen unterlaufen konnte. Der überwältigende Erfolg seiner Serie veranlasste das Propagandaministerium nicht nur dazu, "Vater und Sohn" für propagandistische Zwecke, etwa das Winterhilfswerk einzusetzen, sondern den Zeichner auch mit politischen Karikaturen für die kulturpolitische Vorzeigepublikation der Nazis, "Das Reich", zu beauftragen. Trotz seiner gefragten england- und russlandfeindlichen Karikaturen behielt Ohser seine NS-kritische Meinung bei und äußerte sie privat auch. Eine dieser kritischen Bemerkungen wurde denunziert und Ohser 1944 vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Dr. Freisler der Prozess gemacht. Dem Todesurteil entzog sich der Künstler durch Selbstmord in seiner Zelle. Nähere hierzu: Achim Schnurrer (Hrsg.), "Erich Ohser - e. o. plauen, Zeichnungen, Karikaturen, Vater & Sohn"; Hannover, 1982; Edition Becker & Knigge.]
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