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Von Sun Koh zu PERRY RHODAN
Eine Reihe von Leihbuch-Autoren publizierte schon vor dem zweiten Weltkrieg erfolgreiche Science-Fiction. Zu ihnen zählen neben dem schon erwähnten Joachim H. Rennau unter anderem Albert K. Burmester und Paul Alfred Müller. Von Burmester erschienen 1951 und 1952 im Netsch-Verlag, Osnabrück die Titel "Der Damm von Amazonis", "Sonne Sixa", "Die Stadt im Krater" und "Die Erde reißt", die alle bereits zwischen 1934 und 39 im Henry Burmester Verlag, Leipzig erschienen sind. Hier kamen auch unter seinem Pseudonym Geo Barring die beiden SF-Romane "Erdball in Ketten" und "Panzerfort Nora Atlantis meutert" heraus. Nach 1945 setzte Burmester dieses Pseudonym für Western ein.
Zu den wesentlichen Einflüssen, die Clark Darlton wie K. H. Scheer als SF-Autoren prägten, gehörte nach ihren Aussagen die Vorkriegsserie "Sun Koh". Auch wenn es den engeren thematischen Rahmen etwas sprengt, lohnt es, sich intensiver mit Sun Koh und seinem Schöpfer auseinander zu setzen.
Die bekanntesten Pseudonyme von Paul A. Müller (1901 - 1970) waren Lok Myler und Freder van Holk. Seine beiden Vorkriegsserien "Sun Koh" und "Jan Mayen", von denen er im Alleingang 150 bzw. 120 Hefte verfasste, erlebten nach 1945 nicht nur im Leihbuch Neuauflagen [Leihbuch: Freder van Holk, Sun Koh (insgesamt 37 Bände); Münster, 1958 - 1961; Hermann Borgsmüller Verlag. Nachdrucke aus den Heftromanserien Sun Koh, Jan Mayen und Rah Norton: Lok Myler, Sun Koh, der Erbe von Atlantis (insgesamt 150 Hefte); Leipzig, 1933 - 1936; A. Bergmann Verlag; Lok Myler, Jan Mayen (insgesamt 120 Hefte); Leipzig, 1936 - 1938; A. Bergmann Verlag; Freder van Holk, Rah Norten, Der Eroberer des Weltalls (Hefte 13 - 20); München, 1949 - 1950; Bielmannen-Verlag], sondern auch als Heftserie und Taschenbuchreihe [Heftroman: Freder van Holk, Sun Koh (insgesamt 110 Hefte); Braunschweig, 1949 - 1953; Planet Verlag; Freder van Holk, Jan Mayen - Der Herr der Atomkraft (insgesamt 10 Hefte); Backnang, 1949 - 1950; Utopia-Verlag. - Taschenbuch: Freder van Holk, Sun Koh (insgesamt 37 Bände, ND der Leihbuchausgabe, siehe Anmerkung 20); Rastatt, 1978 - 1980; Pabel Verlag]. Kürzlich erschien von Heinz J. Galle, einem anerkannten Spezialisten für Abenteuerliteratur, eine ausführliche Monografie über "Sun Koh" und seinen Verfasser [Galle, a.a.O. (siehe Anmerkung 3). Nähere Infos zu Heinz J. Galles umfassender Arbeit: www.sunkoh.de]. Der Schweizer Verlag, in dem das Buch Galles herausgekommen ist, plant auch eine unverfälschte und ungekürzte Neuauflage von "Sun Koh", da die Nachkriegsbuchausgaben unter Einbeziehung von Texten aus "Jan Mayen" und "Rah Norton" ziemlich wild zusammengeschustert wurden.
"Sun Koh, der Erbe von Atlantis, wandert halb nackt, mittellos und jeder Erinnerung beraubt durch London und ist von Ahnungen und Visionen durchdrungen." Von dieser Ausgangsbasis aus erobert sich der Mann, der vom Himmel fiel [Der Originaltitel von Sun Koh, Der Erbe von Atlantis Heft Nr. 1 lautet "Ein Mann fällt vom Himmel".] gegen alle Widerstände die Machtmittel, um seiner sich allmählich offenbarenden Bestimmung zu genügen: das Erbe des wieder auferstehenden Atlantis anzunehmen.
Heinz J. Galle gelingt es, in seinem Buch über Müller und "Sun Koh" die wesentlichen Motive herauszuarbeiten, die für die Faszination und den Erfolg dieser Romane verantwortlich waren. Er zeigt außerdem, welche geistigen Väter wiederum beim Werk Müllers Pate gestanden haben und wie diese Einflüsse schließlich über Autoren wie Clark Darlton bei PERRY RHODAN gelandet sind. Es ist kein Geheimnis und schmälert auch nicht das Verdienst der RHODAN-Autoren der Anfangszeit, wenn sich über "Sun Koh", "Jan Mayen" und "Rah Norton" eine direkte Traditionslinie bis hin zu PERRY RHODAN verfolgen lässt.
Gerade das Atlantis-Motiv, das bei PERRY RHODAN in einer seiner faszinierendsten Figuren, nämlich Atlan, eine bedeutende Rolle spielt, war bereits für einen Autoren wie Müller eine entscheidende Grundlage seiner Arbeit. Schon vor PERRY RHODAN spielt Atlantis auch in K. H. Scheers ZBV-Leihbuchserie eine wichtige Rolle.
Es wäre kaum erwähnenswert, gingen die Ähnlichkeiten und Überschneidungen nicht über die bloße Verwendung des gleichen Themas hinaus. Es würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen, hier im Einzelnen darauf einzugehen. Nur ein Beispiel sei kurz erwähnt: Wie viele Unterhaltungsschriftsteller hat auch Müller in späteren Zeiten auf eigene Motive aus der Vergangenheit zurückgegriffen. Das tut er auch, als er Anfang der 60er Jahre für die Serie "Mark Powers" schrieb. In dem dort erschienenen Heft "Die Roboter von Nova Atlantis" lässt Müller einen weißhaarigen Helden namens Atlan auftreten, der unter anderem Probleme mit rebellischen Robotern hat, die sich zu Herrschern über ihre dekadent gewordenen Erbauer aufschwingen. Wem hier vieles irgendwie bekannt vorkommt, sollte in Rechnung stellen, dass der Roman "Die Roboter von Nova Atlantis" etwa zwei Monate vor PERRY RHODAN Nr. 50 erschien. In diesem Heft trat bekanntlich einer der beliebtesten Helden aus dem Rhodan-Kosmos, Atlan, der Einsame der Zeit, erstmals auf.
Solche Übereinstimmungen machen deutlich, dass einige Themen und Motive zu bestimmten Zeiten gewissermaßen in der Luft liegen. Denn es lässt sich auf Grund der langen Vorproduktionszeiten bei diesen Serien nahezu ausschließen, dass hier wechselseitig voneinander abgeschrieben wurde. Andererseits ist es unbestreitbar, dass in der Unterhaltungsliteratur zahllose Stoffe von immer neuen Autorengenerationen aufgegriffen, um- und abgewandelt und immer wieder aufs Neue verwendet werden. Galle liefert in seiner Monografie noch viele weitere Beispiele für derartige Beeinflussungen und Überschneidungen aus allen Bereichen von SF und Fantasy und geht dabei bis zu Kolportageautoren wie Robert Kraft und dessen Vorläufer zurück.
Der Begriff der Kolportage leitet sich aus dem Französischen ab und illustriert auf anschauliche Weise, wie die Fortsetzungsserien der Kolportageliteratur im 19. Jahrhundert vornehmlich unter der Landbevölkerung vertrieben wurde: col = Kragen, Hals; porteur = Träger. Es handelte sich um Literatur, die in einer Kiepe, um den Hals, auf dem Rücken von Ort zu Ort und Haus zu Haus getragen wurde.
Neben der Darstellung des Atlantismythos widmet sich Galle auch ausführlich der aus heutiger Sicht recht obskuren Hohlwelttheorie, die für Müller fast sein ganzes Leben lang sehr wichtig war. Und auch hier kann Galle Motivverbindungen zu PERRY RHODAN nachweisen.
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